Kulanz ist kein uneingeschränkter Freibrief


Von:  Bundesverband - RA Wolfgang Reinders / 26.05.2021 / 21:34


FRANKFURT. Um einen Kunden zufrieden zu stellen und einen Streit zu vermeiden, wird gern eine Leistung "aus Kulanz" erbracht. Meistens geht es dabei um kleinere Mängelbeseitigungen. Die meisten Handwerksbetriebe stellen sich dabei vor, dass die Kulanz zu nichts verpflichte, nach Abarbeitung alles erledigt ist und es nicht zu irgendeinem Nachspiel kommen kann. Das ist aber ein grundlegender Irrtum!


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  • Kulanz ist kein uneingeschränkter Freibrief. Hier kann es im schlimmsten Fall auch zum Rechtsstreit kommen. Handwerker und Kunden sollten sich deshalb auch hier auf ein vertraglich geregeltes Angebot verständigen.
"Kulanz" ist kein feststehender Rechtsbegriff, sondern Umgangssprache. Jeder der Beteiligten legt dem Begriff daher gerne eine andere Bedeutung zu, die naturgemäß seinen persönlichen Vorstellungen und Interessen entspricht. Das macht die Sache im Detail kompliziert.

Freiwillige Service-Leistungen sind keine Kulanz

Kulanz ist nicht gleich Kulanz. Rein freiwillige Leistungen eines Vertragspartners sind von der eigentlichen Kulanz zu unterscheiden. Sie sind gewissermaßen ein Extra-Service im Rahmen einer Vertragsabwicklung. Das kann zum Beispiel eine kostenlose Serviceinspektion, eine zeitlich begrenzte Pflegeleistung oder eine freiwillige Verlängerung der Gewährleistung sein. Kennzeichnend ist dabei vor allem, dass dieser freiwilligen Leistung kein wirkliches Streitszenario vorausgeht.

Die "echte" Kulanz ist ein streitbeilegender Vergleich im Sinne einer echten vertraglichen Bindung - leider oft mit unklaren Spielregeln

Wenn ein Kunde einen Mangel bzw. ein Schadensbild rügt, dann geht er erst einmal davon aus (zu Recht oder zu Unrecht), dass der Handwerker in der Mangelhaftung ist. Es ist dann Aufgabe des Handwerkers, die Mangelrüge zu untersuchen, um zu beurteilen, ob die Mangelrüge gerechtfertigt ist. Ist ein Mangel, den der Handwerker zu verantworten hat, tatsächlich vorhanden, wird der Handwerker diesen anerkennen und in der Regel beseitigen. Bei weniger gravierenden Mängeln kommt es auch zur Minderung.

Nun gibt es aber Schadensbilder, bei denen die Verantwortlichkeit nicht so eindeutig ist. Es entsteht der klassische Streit um die Ursache und die Verantwortlichkeiten. Keiner will offiziell "juristisch" nachgeben. Dennoch will der Handwerker einen juristischen Streit, vor allem einen gerichtlichen Streit vermeiden.

Die Lösung liegt dann sehr praxisnah darin, dass der Handwerker den Schaden nicht aufgrund einer (vielleicht doch bestehenden) rechtlichen Verpflichtung beseitigen will, sondern "nur" aus Kulanz. Man will die Ursache des Schadensbildes und vor allem die Verantwortlichkeit dafür bewusst ungeklärt lassen.

Um das umzusetzen muss der Handwerker vor Ausführung der "Mängelbeseitigung" (der richtige Ausdruck wäre hier: Beseitigung des reklamierten Zustandes) dem Kunden klar machen, dass er Mangelansprüche zwar "juristisch" ablehnt, aber rein tatsächlich bereit ist, "aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" die Nachbesserung, Ausbesserung, Reparatur oder Schadensbeseitigung gleichwohl vorzunehmen. Aus Beweisgründen sollte das unbedingt in Textform gemacht werden.

Klarheit vor der Kulanzleistung schaffen

Das Kulanzangebot ist im Grunde also ein echtes vertragliches (streitbeilegendes) Angebot, welches der Kunde annehmen oder ablehnen kann. Nimmt er es ausdrücklich an, ist alles klar. Nimmt er es nur "konkludent" (also durch schlüssiges Handeln) an, indem er die Kulanzarbeiten rein faktisch vornehmen lässt ohne die Kulanz ausdrücklich abzulehnen, ist das auch ausreichend. Nur im Ausnahmefall kann eine solche Handlung vielleicht einmal keine Annahme des Angebots sein: beispielsweise, wenn der Kunde in Urlaub fährt und gar nicht mitbekommt, dass an seiner Fassade gearbeitet wird oder wenn der Kunde gar nicht im oder am Objekt wohnt und die Kulanzarbeiten folglich nicht wahrnehmen kann. In diesen Fällen würde dem Kunden die Kulanz quasi "untergeschoben". Es muss in jedem Fall vor Durchführung der Arbeiten klar sein, dass aus Kulanz geleistet werden soll, und dass der Kunde dieses Kulanzangebot auch annimmt. Ansonsten liegt in dem tatsächlichen Beginn der Ausführung von Mangelbeseitigungsleistungen oder deren Zusage ohne einen entsprechenden Kulanz-Vorbehalt ein Anerkenntnis des Mangelanspruchs und zwar selbst dann, wenn der Anspruch schon verjährt wäre. Damit würde eine erneute komplette Mangelverjährung ausgelöst. Bei BGB-Werkverträgen (Bauwerk) bedeutet das, dass erneut die Fünfjahresfrist läuft, bei Reparaturen die Zweijahresfrist. Bei VOB-Verträgen beginnt immer nur eine zweijährige Verjährung ab Abnahme der Mangelbeseitigungsleistung.

Was ist die Folge von Kulanz? – jedenfalls kein uneingeschränkter Freibrief!

Da die Kulanzregelung im Grunde eine Vergleichsregelung ist, gilt inhaltlich das, was im Vergleichstext steht. Das Problem ist nur, dass man es in der Praxis oft nur bei diesem berühmten pauschalen Satz belässt,
"Aus Kulanz uns ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich, verpflichtet sich der Auftragnehmer…. das und zu tun"
ohne irgendwelche Details zu regeln. Den Rest überlässt man dann gerne dem Lauf der Dinge und der späteren Auslegung durch Rechtsanwälte und Gerichte, wenn es erneut zum Streit kommt. Und dieser Streit ist quasi vorprogrammiert, wenn es nicht zur nachhaltigen Verbesserung der Situation bzw. des Mangelbildes kommt, also die Kulanzarbeit letztlich nicht das erreicht, was der Kunde sich vorstellt.

Dieser nachgelagerte Kulanzstreit ist besonders schwierig zu lösen. In der Rechtsprechung haben sich dennoch einige wichtige Eckpfeiler herausgebildet.
  • Die Leistung aus Kulanz führt nicht zur Verlängerung der Verjährung, denn diese Rechtswirkung soll ja gerade im Rahmen der Kulanzleistung ausgeschlossen sein
BGH, 23. August 2012 - VII ZR 155/10: Ein Anerkenntnis im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor, wenn ein Unternehmer auf Aufforderung des Bestellers eine Mängelbeseitigung vornimmt, dabei jedoch deutlich zum Ausdruck bringt, dass er nach seiner Auffassung nicht zur Mängelbeseitigung verpflichtet ist.
  • Die Kulanzleistung selbst muss fachgerecht erbracht werden. Es müssen gegebenfalls Bedenken schriftlich angemeldet werden. Oft sollte das bereits mit dem Kulanzangebot gemacht werden, damit der Kunde weiß, worauf er sich einlässt. Die fehlerhaft erbrachte Kulanzleistung selbst löst wiederum eine Mangelhaftung bzw. eine Gewährleistungsverpflichtung aus (OLG Stuttgart, Urteil vom 25. Mai 2011 – 9 U 222/10, NJW-Spezial 2011, 526). Wenn also ein ungeeignetes Material verwendet wird oder ein Ausführungsfehler im Rahmen der Kulanzleistung passiert (bei Rissen werden diese nur "zugeschmiert" anstatt fachgerecht saniert), dann haftet der kulanzleistende Handwerker.
  • "Verschlimmbessert" der Maler durch seine Kulanzleistung seine Arbeit beispielsweise durch Erzeugung erheblicher optischer Mängel aufgrund der Kulanzleistung und werden daraufhin erheblichere Beseitigungsleistungen notwendig, kommen auch Schadenersatzansprüche in Betracht. Daher muss der Handwerker darauf achten, bestenfalls schriftlich vorher Bedenken anmelden, wenn eine solche "Verschlimmbesserung" zu erwarten ist.
  • Sagt der Handwerker eine Kulanzleistung zu, kann er dann nicht mehr ohne weiteres die einmal zugesagte Kulanzleistung später verweigern oder nur teilweise erfüllen. In diesem Fall kann es passieren, dass der Handwerker schadenersatzpflichtig wird, beispielsweise, weil ein anderer Betrieb die Leistung aufgrund der Verweigerung oder unvollständigen Kulanzleistung übernehmen muss. (OLG München, Urteil vom 1. März 2011 - 9 U 3782/10 – BauR, 2011, 1835).
Bei einer belastbaren und zukunftsbefriedenden Kulanzregelung sollte im Detail geregelt werden:
  1. was technisch genau gemacht werden soll,
  2. welchen technischen Bedenken die Arbeit gegebenenfalls unterliegt,
  3. welches Ergebnis wahrscheinlich dadurch produziert wird,
  4. welche "Nebenwirkungen" oder "Spätfolgen" auftreten können,
  5. was passiert, wenn sich das alte Schadensbild (zum Beispiel Risse) erneut zeigt.
Hinweis: Hierbei müssen keine juristisch exakt ausformulierten Texte geschaffen werden. Viel wichtiger ist, dass überhaupt etwas zu Papier gebracht wird. Das kann dann auch gerne umgangssprachlich formuliert sein.

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